13.07.2016
English text below!
Ein Gastbeitrag im Blog „Ahnen, Namen, Wappen und mehr“ der Immoos-Website von F. Gundacker vom 12. Juli 2016 / in:
https://genealogenstammtisch.org/…/das-hats-zu-unserer-ze…/…
Im Unterschied zu vielen Österreichern hatte ich das enorme Glück, alle vier Großeltern lange Zeit zu erleben, ja größtenteils mit ihnen zu leben. Sie erzählten mir viele Geschichten, wie schwierig das Leben war, über den Beruf des landwirtschaftlichen Geräteherstellers (= Holzrechenmacher), über ein Leben ohne Strom und Zentralheizung, Telefon und Auto und über die wenigen Freudentage wie Hochzeiten oder Namenstage, was es gegeben hat und was nicht, in der Strenge der damaligen Zeit. Ihrer Zeit.
Aber war diese Zeit wirklich so? Hat´s das alles wirklich nicht gegeben? Z.B. die unehelichen Kinder? Die Schand´. Wie viel von diesen Geschichten waren Geschichten und wie viel tatsächlich Geschichte?
Als ich schließlich auf dem Hochzeitsfoto meiner Großeltern die ersten Lebenszeichen meiner Mama entdeckte, begann ich die konservative Haltung meiner Großeltern zu hinterfragen. Und stieß auf interessante Fakten, die mein bisheriges Bild etwas korrigierten.
1840 – so schreibt Nödl in seinem Buch über „das unromantische Biedermeier“ kamen 41% aller Kinder in der Österreichischen Reichshälfte unehelich zur Welt. In Graz waren es sogar 60, auch in Wien 56%. DAS war also die Normalität – nicht das eheliche Kind. Die Menschen hatten ihre Sehnsüchte, ihre Wünsche, ihre Träume und lebten sie, natürlich! Nur die Vorzeichen waren andere: fehlende Heiratserlaubnis des Arbeitgebers oder einfach nur die erschreckende Armut erlaubten den gemeinsamen Lebensweg nicht. Und so wurden viele Kinder erst durch die später erfolgte Eheschließung der Eltern legitimiert (per subsequens matrimonium est). Wenn man das Geld aufbrachte.
Seit 1784 durften aufgrund einer der vielen Verordnungen von Kaiser Josef II. Väter von unehelichen Kindern nur mehr dann in den Kirchenbüchern (die zugleich auch standesamtliche Aufzeichnungen wurden = Altmatriken) eingetragen werden, wenn sich der Vater in Anwesenheit der Mutter und zweier Zeugen ausdrücklich zum Kind bekannte und die Einschreibung in das Taufbuch auch verlangte. Tat er das nicht, durfte er nicht eingetragen werden.
Und so haben wir oft die weißen Flecken in der Ahnentafel und fragen uns, wer wohl der Vater eines unehelichen Kindes gewesen sein mag. Der Dienstgeber? Oder gar der Graf, weil die Uroma im Schloss gearbeitet hat?
Eines sollte man in der Ahnenforschung nicht machen: Spekulieren. Vieles kann man erforschen, und einiges wird wohl auch im Dunkeln bleiben. Aber einfach nur annehmen, dass es der Schloßherr war, wäre zu billig – und meist falsch. Bei 41% unehelichen Kindern hätten die Grafen ganz schön was zu tun gehabt. Genauso interessiert an der Köchin war wohl auch der Gärtner.
Und wie wir von den Krimis wissen: Es war immer der Gärtner!
Felix Gundacker, Genealoge ist erreichbar unter: kontakt@FelixGundacker.at – http://www.felixgundacker.at
Herzlichen Dank Felix Gundacker für diesen Gastbeitrag.
Und wie war das bei uns in der Schweiz?
Auch in den Schweizer Kantonen und im Kanton Schwyz gab es das Problem mit den unehelichen Kindern. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde in der Innerschweiz eine extrem hohe Zahl unehelicher Geburten ausgewiesen. Genaue statistische Zahlen konnte ich nicht recherchieren. Die meisten dieser Mütter stammten aus dem Dienstbotenmilieu. Die damalige Ehegesetzgebung verwehrte grossen Teilen der armen Bevölkerung die Verehelichung. Dies führte zu vielen ausserehelichen Schwangerschaften, denen die Obrigkeit mit Repression und Bestrafung begegnete. In der schwierigen wirtschaftlichen und sozialen Lage sahen sich viele Frauen gezwungen, Schwangerschaft und Geburt zu verheimlichen und anschliessend ihr neugeborenes Kind wegzugeben, auszusetzen oder sogar zu töten.
Auch bei Verheirateten Frauen kamen Seitensprünge vor. Die daraus entstandenen Kinder wurden oft als Kuckuckskinder den Ehemännern untergejubelt. Aber das ist wieder ein anderes Thema.
Für den Kanton Schwyz hat der Schwyzer Historiker Dr. Erwin Horat dieses dunkle Kapitel der Schwyzer Geschichte in einem soeben erschienenen Buch beschrieben.
Bibliografie:
„… und das Kind von Küssnacht nach Mailand verschleppt.“
Kaum bekannte Kinderschicksale im frühen 19. Jahrhundert
Verfasser: Horat, Erwin
Ort, Verlag, Jahr: Schwyz, Historischer Verein des Kantons Schwyz, 2013
Seiten: 215-233
Bildquellen:
Titelbild: Kinder; Blogfoto von Genealogenstammtisch
Beitragsbild: Neugeborenes; free photo von pixabay.com
English:
07.13.2016
That did not exist in our time.
A guest post on the blog „ancestors, name, crest and more“ of Immoos site of F. Gundacker of 12 July 2016 / in:
https://genealogenstammtisch.org/…/das-hats-zu-unserer-ze…/…
Unlike many Austrians I had the enormous good fortune to experience all four grandparents long time, so mostly to live with them. They told me many stories of how difficult life was, on the profession of agricultural equipment manufacturer (= wood Rechenmacher), a life without electricity and central heating, telephone and car and about the few fun days such as weddings and name days, what has been and what not, in the rigor of the time. Your time.
But this time was really so? Hat’s all not really given? For example, the illegitimate children? The shame. How much of these stories were stories and how much actual history?
When I finally discovered the first signs of life my mom at the wedding photo of my grandparents, I started the conservative attitude of my grandparents to question. And came across interesting facts that corrected my previous image somewhat.
1840 – writes Nödl in his book on „the unromantic Biedermeier“ came 41% of all children in the Austrian half of the Empire born out of wedlock. In Graz there were even 60, in Vienna 56%. THAT was so normality – not the legitimate child. People had their desires, their wishes, their dreams and lived them, of course! Only the signs were different: missing marriage license of the employer or just abject poverty did not allow the life together. And so many children were legitimized only by the later performed marriage of the parents (per subsequens matrimonium est). If you muster the money.
Since 1784 were due to the many regulations of Emperor Josef II. Fathers of illegitimate children only then in the parish registers (which also enjoy civil records were = Altmatriken) are entered when the father in the presence of the mother and two witnesses expressly for child known and enrolling in the parish register also demanded. Indeed, he does not, he must not be entered.
And so we often have white spots on the pedigree and ask us, who was probably the father of an illegitimate child. The employer? Or even the count, because the great grandmother worked in the castle?
One thing you should not do in the Genealogy: speculation. Much can explore, and some will probably remain in the dark. But just accept that it was the lord of the manor, would be too cheap – and mostly wrong. In 41% illegitimate children the Count had had quite what to do. Equally interested in the cook was probably the gardener.
And as we know from the detective novel: It was always the gardener!
Felix Gundacker, genealogist can be contacted at: kontakt@FelixGundacker.at – http://www.felixgundacker.at
Thanks Felix Gundacker for this guest post.
And as was the case here in Switzerland?
Also in the Swiss cantons and in the canton of Schwyz, there was the problem with the illegitimate children. In the mid-19th century, an extremely high number of illegitimate births was reported in central Switzerland. Accurate statistical numbers I could not research. Most of these mothers came from the servants milieu. The former marriage laws forbade large parts of the poor population, the marriage. This resulted in many extra-marital pregnancies, where the authorities met with repression and punishment. In the difficult economic and social situation, many women were forced to conceal pregnancy and birth and then give away their newborn child, suspend or even kill.
Even among married women came before infidelities. The children resulting therefrom were often foisted cuckoo kids husbands. But that’s another topic again.
For the Canton of Schwyz Schwyzer historian Dr. Erwin Horat has described this dark chapter of history Schwyzer in a recently published book.
„… And the child of Küssnacht deported to Milan.“
Hardly known children fates in the early 19th century
Author: Horat, Erwin
Place, Publisher, year: Schwyz, Historical Society of Canton Schwyz, 2013
Pages: 215-233