18.04.2017
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Ein Beitrag zur Klärung der «sekundären Verwalserung» in der Innerschweiz
Dass die Walser ein alemannisches, deutsch sprechendes, urchiges und zähes Bergvolk des Alpenraums sind, welches in längst vergangenen Zeiten aus ihrer Ur-Heimat, dem oberen Teil des heutigen Kantons Wallis ausgezogen ist und in mehreren Schüben einer inneralpinen Völkerwanderung weitere Alpengebiete vor allem nach Süden, in die italienischen Täler des Pomatt und in einige südlich des Monte Rosa erschlossen hat sowie auch ostwärts Ursern und Rätien besiedelte, ist allgemein bekannt und heute wissenschaftlich gut erforscht.
Andere Wanderrouten der Walser ins St. Gallische, nach Lichtenstein, Tirol und Vorarlberg bis ins Kleinwalsertal, sind etwas weniger erforscht und geklärt. Gering dokumentiert und nicht ausreichend erforscht sind hingegen spätere Wanderbewegungen von Walser-Familien durch die Schöllenen, das Reusstal hinunter ins Urnerland und in die Gebiete um den Vierwaldstättersee des Kantons Schwyz, auch in Gebiete von Ob- und Nidwalden und das Glarnerland. Dazu möchte dieser Artikel einen kleinen Beitrag leisten.
Bei der Familienforschung auf die Spuren der Walser gestossen
Eigentlich bin ich nur ein «angefressener» Ahnenforscher. Auf den Spuren unserer Ahnen findet man aber immer wieder Rätselhaftes, Mysteriöses und Unerklärbares. Jede Familie, jeder Familienverband weist nämlich Geheimnisse, Rätsel, Mythen und Schicksale auf. Bei der Familie Immoos von Morschach (SZ), früher nur «Zmoß, Moß, Moos, im Moos» geschrieben und in alten Dokumenten verzeichnet, ist das Geheimnisvolle die rätselhafte, ursprüngliche Herkunft und Abstammung. Warum erscheinen diese «Moos» in Morschach plötzlich gegen 1500? Von woher sind sie im ausgehenden 15. Jahrhundert eingewandert? Woher stammen also die Immoos-Urahnen? Was haben sie mit den «von Moos» von Ursern und Uri zu tun? Sind die «Moos» gar adelig? Diesen Fragestellungen ging ich als Familienforscher verbissen nach. Sie führten mich auf interessante Spuren der Walser in der Innerschweiz, speziell natürlich in meiner Heimatgemeinde, dem kleinen Bergdorf Morschach.
Alte Familiensage über die Walser-Abstammung
Unter den Immoos-Familien und allgemein im Dorf Morschach hält sich seit langer Zeit eine von Familie zu Familie überlieferte interessante Geschichte über die Herkunft der Immoos. Ich kann diese Überlieferung auch bestätigen. Mein Grossvater und mein Vater erzählten sie mir genauso, wie ich sie auch meinen Kindern erzählte, nämlich, dass die Urahnen unserer Familie ursprünglich aus dem Wallis stammten, wir also waschechte Walliser oder eben «Walser» seien. Auch Aloys von Euw, viele Jahre kath. Pfarrer in Morschach[1], bestätigte mir, dass er diese Familiensage von vielen alten Leuten im Dorf und ebenfalls vom 2001 verstorbenen bekannten Literaten und Kulturpreisträger des Kantons Schwyz Thomas Immoos[2] vernommen habe. Aloys von Euw selber schrieb im Vorwort eines Bildbands des Fotojournalisten Ernst Immoos aus Morschach mit dem Titel «Unterwegs vom Mythen bis Mali mit Königin und Wildiheuer» 1995 über diese Sage:
«… Der Name Immoos hat seine Wurzeln im Wallis. Die Ahnen, die mit ihren vielen Kindern, Geissen und Sorgen in den engen Tälern keinen Platz mehr fanden, wanderten aus der Sonnenstube an der Rhone über alle Berge aus. In zwei mutigen Anläufen. Etwa 700 Jahre sind es her. Sie entdeckten Morschach, diesen zauberhaften Fleck Erde. Und blieben! …»
Pfarrer von Euw zitiert hier aus der Familiensage Immoos, die er als Pfarrherr des Dorfes und als bekannter Autor und Volkskundler sicher gut kannte. Auf dem «Weg der Schweiz» vom Dorf Morschach Richtung Bauernhof «Laui», steht an einer markanten Stelle, dem sogenannten «Walser-Eggäli» eine Aussichtsbank. Ob und wie dies mit unserer Familiensage zusammenhängt ist mir leider, trotz Recherchen, nicht bekannt.
Familiensage Immoos: «Die Moos haben ihre Wurzeln im Goms im Kanton Wallis. Unsere Urahnen, die mit ihren vielen Kindern, Geissen und Sorgen oder politischen Nöten in den engen Tälern keinen Platz mehr fanden, wanderten aus der Sonnenstube an der Rhône über alle Berge aus. Sie kamen dann vor langer Zeit über die Alpenpässe und ihre Nachfahren später über einige Zwischenstationen auch in unsere Gegend.»
Interessante Walser Spuren vom Urserental bis an den Vierwaldstättersee
Geht man dieser Sage etwas genauer nach, findet man einige interessante Spuren. Durch die Öffnung der Pässe und der Transitwege im 13. Jahrhundert wurden grössere Wanderungen von Volksgruppen in den zentralen Alpen möglich. Durch das Bevölkerungswachstum in den Städten und Talgenossenschaften wurden deshalb höher gelegene Gebiete in den Alpen besiedelt. Teilweise wurden durch Verleihung von günstigen Rechten und Freiheiten durch die Eigentümer (Klöster, Adlige) diese unwirtlicheren Gebiete für die Besiedelung anziehender gemacht. Durch die Walser-Familien wurden vor allem hochgelegene alpine Gebiete der dauernden Besiedlung erschlossen. Die Wanderungen begannen um 1200 herum und fanden in mehreren Wellen statt. Die Vorstösse der Walser und deren Nachzügler in die weiter entfernten Siedlungsgebiete dürften teilweise bis ins 13./14., im Sekundärbereich vielleicht bis ins 15./16. Jahrhundert gedauert haben. Die Walser behielten am neuen Ort ihre alemannische Sprache, ein eigenartiges «Dytsch» bei und nahmen das Rhätische nicht und lokale, deutsche Dialekte weniger gut an. Von Chur wird über die Davoser (Walser) berichtet, sie hätten eine viel rauere Sprache als im Hauptort.
Der Name Moos / Immoos ist kein verwertbares Walser-Indiz
In Dokumenten und Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts findet man im Wallis meistens nur Vor- und manchmal Beinamen, gebildet mit dem Ort der Herkunft oder dem Hof oder Wohnsitz, mit der Benennung des Vaters oder einem Beruf. Zum Beispiel: «1245 Matthäus de Staldo (Stalden), 1235 Waltherus de Chosun (St. Niklaus), Petrus Hanefgarten (Hanfgarten), Waltherus an dem Velde (am Feld), Petrus (filius) Martini, Giroldus Faber (Schmied) oder Johannes Sartor (Schneider)». Gefestigte Beinamen[3] nicht adliger Personen können erst im 14. Jahrhundert allgemein festgestellt werden. Es sind dies oft Bezeichnungen nach dem Wohnsitz: «Thomas an dem Wege, Petrus an der Strassa, Agnes in Campo, Jacobus Supra saxo, Niclaus Riedmatten sowie etwa die Beinamen zem Bache, de Alme, Kuhmatter, zur Mühli, später auch Namen wie Borter, Murman, Aletscher, Troger, Holtzer, Zurbriggen, Zumsteg, Zurmühle» usw.
Der Name «Mos, von Mose, im Mos, zem Mos, ze Mos, Zmoß» kommt im Wallis auch vor. Ebenso auch die lateinische Form: «de Palude». Stefan Würth (damaliger Mitarbeiter im Projektteam des Namenbuchs des Kantons Wallis) berichtete mir in einem Entwurf unter anderen folgende Beispiele: 1398: «zem mose de terman» und 1429: «Hans filius quandam cuiusdam Thunen Im mos de terman». Hier handelt es sich aber noch um Ortsbezeichnungen und nicht um Beinamen. Erwiesenermassen findet man die oben genannten Namen mit Moos in Naters, Ulrichen, Fiescherthal, St. Niklaus und Zermatt.[4] Vermutlich sind einige davon (nach M. Schnellmann[5]) aus dem Urserntal und Uri eingewanderte (wieder zurückgewanderte) Abkömmlinge der Ursner Familie von Moos. Es gilt als sicher, dass sich die Familiennamen der nicht adeligen Walser vermutlich erst in der neuen Heimat, in einem längeren Prozess, gefestigt haben.[6] Grundsätzlich ist es zu einfach, aus Familiennamen, Schlüsse auf die Walser Abstammung ziehen zu wollen, da es zur Zeit der Walserzüge mehrheitlich noch keine gab. Bei den typischen Walser Familiennamen, wie sie Paul Zinsli[7] aufzählt, ist der Name Moos nicht vertreten.
Schöllenen eröffnet neuen Weg Richtung Vierwaldstättersee
Durchreisegebiet auf der Wanderung nach Bünden und Vorarlberg war das hochgelegene Urserental im Kanton Uri. Man kann keinesfalls ausschliessen, ja es kann sogar mit Bestimmtheit ausgesagt werden, dass einzelne Walser Familien und spätere Nachzügler (evtl. auch Nachkommen von ins Wallis zurückgewanderten Personen von Moos) den neuen Weg durch die Schöllenen benutzt haben und sich im Urnerlande und in Richtung Vierwaldstättersee verbreiteten.[8] Die Meinung, der «Stiebende Steg» in der Schöllenen, auch «Twerenbrücke» genannt, entspreche der Bauart der Walliser Wasserleitungen (sog. Suonen) und sei von Walsern aus dem Urserental erstellt worden, kann durchaus den Tatsachen entsprechen. Louis Carlen schreibt dazu:
«Die Walser haben mit der Eröffnung der Schöllenen auch selber den Weg zu weiterer Expansion gebahnt. Wir stossen im unteren Reusstal vereinzelt auf ihre Spuren. Als die Landleute von Uri am 23. Dezember 1257 in den Gebreiten zu Altdorf urkundeten, dass Graf Rudolf von Habsburg die tödliche Fehde zwischen dem Geschlecht der Izelinge und dem der Gruoba versöhnt habe, waren unter den Urnern u. a.: Heinrich von Mittendorf, Meister Konrad und sein Sohn Konrad im Oberdorf, der 1290 im Schächental nachgewiesen ist, Peter Werra und ein Conrad oben im Dorf. Von ihnen nimmt die Forschung an, dass sie Walser Einwanderer waren.»[9]
Man weiss aber, dass im Urnerland, im Kanton Schwyz und im Glarnerland keine eigentlichen Walser Siedlungen wie im Süden und Osten entstanden sind. Jedenfalls ist darüber – laut Auskunft der Walservereinigung – nichts dokumentiert. Es kann sich deshalb nur um vereinzelte Familien gehandelt haben, die in unsere Gegenden gekommen sind – aus welchen Gründen auch immer – nicht um ganze Sippen und Dorfschaften wie bei den eigentlichen Walserzügen. Sicher und belegt ist, dass Walser das untere Reusstal und angrenzende Gebiete vereinzelt infliltriert haben.
Eine «sekundäre, späte Verwalserung» im 15. Jahrhundert weist auch einer der bekanntesten Walserforscher Paul Zinsli für das Berner Oberland und die Innerschweiz mit verschiedenen Belegen nach. Er gibt Belege für den Kanton Glarus in Braunwald, Linthal, Elm und Ennenda. Für das Urnerland nennt er Einwanderung durch die Schöllenen und vom Glarnerland über den Klausen und sogar auch umgekehrt. Er war der Meinung, dass so viele Walser im Urnerland lebten, dass verschiedene wieder weiterziehen mussten. Vielleicht eben auch nach Morschach im Kanton Schwyz!
In einer Urkunde vom 5. Juni 1427 wird Heini Walser zu Spiringen aufgeführt: «Heini Walser, ein Bruder Peters ab der hohen Matt von Walles». Weiter werden durch Landsgemeindebeschluss vom 5. Mai 1532 einige Walliser, die mit den Urnern im Kappelerkrieg gekämpft haben, ins Landrecht aufgenommen, darunter ein «Heini Wallser» und ein «Heini in der Krummen von Wallis, genannt der Walser». Im Jahrzeitbuch Spiringen sind aufgezeichnet: Im Januar «Heini Walliser, Elsy sin wirtin, Nesy sin schwester» und im Februar «Hans von Wallis» (nach Hoppeler). Auch Albert Iten[10] gibt in seinen «Zuger Namenstudien» 1969 verschiedene Herkunftsbelege aus dem walserdeutschen Bünden mit Einträgen in Schwyzer Dokumenten: «Heinrich usser Vals, Hans Tschiken von dem Rhinwald, Ueli vom Rin, Anna Murerin von Sauen im Oberland (Safien) und Hans Schwibel von Safia sowie Sale sin husfrau».
Der Sagenschatz der Region legt Spuren zu den Walsern
Interessant ist auch das Vorkommen von Sagen mit gemeinsamem Ursprung und Thema in vielen Walser Gebieten. Die typischen Sagenmotive, die Zinsli als häufig für die Walser Regionen angibt, finden wir auch in unserer Gegend. Unter anderen kommt auch die Sage vom Teufel, der mit einem grossen Stein ein Werk der Menschen vernichten wollte, in vielen Walser Siedlungen vor, ebenso im Urnerland und im Kanton Schwyz. Den Teufelsstein in Göschenen kann man ja noch heute besichtigen. Augenfällig ist hier vor allem der Zusammenhang mit dem Bau der Schöllenen-Brücke durch die Ursner.[11] Solche Teufelssteine und Sagen gibt es auch an der Rigilehne und im Muotathal. Auch die anderen Walser Sagenmotive – wie die Sage vom «Toggi», dem «Drückegeist», die «Blüemlisalpsage» von der zerstörten Alp, die Erzählung «vom Mann, der nicht in die Kirche gehen will», die «Wildmannli-/Erdmannli-Sagen» oder die Sagen vom «Totenvolk», «Totenzug» oder von der «Nachtschar» – findet man mehrfach in unserer Region.[12] Im Muotathal gibt es sogar eine Alp «Wallis», die einer Sage nach von Josi Zurbriggen aus dem Goms bewirtschaftet worden sein soll.
Nicht zuletzt fallen in allen Walser Regionen die alten Häuser, Ställe und Speicher durch eine sonderbare, unübliche Bauart auf, ähnlich den Walliser Häusern. Man findet deshalb in den Walser Gebieten fast die gleichen Speicher wie im Wallis. In Morschach erzählt die Überlieferung von alten Häusern seltsamer Bauart, mit kleinen Fenstern, niedrigen Türen und hohen Türschwellen, die aus Ehrfurcht vor den Ahnen immer wieder versetzt worden seien.[13] Eines der ältesten Häuser im Kanton Schwyz ist das alte «Tannen-Haus» am Weg der Schweiz. Die Flur Tannen ist seit 1426 urkundlich erwähnt und liegt eine halbe Wegstunde ausserhalb des Dorfes Morschach, in Richtung Riemenstalden und Sisikon, knapp 800 m. ü. M. auf dem alten Saumweg von Schwyz in den Kanton Uri. Das alte Haus, das schon um das Jahr 1290 herum gebaut wurde, soll der Sage nach später von Riemenstalden an diese Stelle in der Nähe von Morschach versetzt worden sein.[14]
Aussergewöhnliche Hinweise auf das Walsertum in Morschach
Bei den Walser Familien komme es manchmal vor, dass Kinder geboren werden, die das Aussehen von Südländern mit dunklem Teint und tiefschwarzen Haaren aufweisen. Bei den Walsern dominiere ja die Blutgruppe 0, was laut gewissen Forschungen auch auf maurischen Einfluss hindeuten soll (Ich selber bin übrigens auch Träger der Gruppe 0! Anmerk. RWI). Zu denken ist an eine Blutvermischung während den Sarazeneneinfällen im Wallis im 10. Jahrhundert.[15] Bei den Walsern – so wird berichtet – soll es sogar heute noch vorkommen, dass Kinder geboren werden, die diese Merkmale aufweisen. Auch in Morschach wird erzählt, dass in den Immoos-Familien hin und wieder solche Kinder geboren worden seien. Diese phantasievollen Argumentationen sind jedoch mit grosser Vorsicht zu betrachten.
Zu diesen Hinweisen gehört auch eine Aussage meines Grossvaters. Alois Immoos-Auf der Maur (1882-1965) vom Hof Degenbalm, schön über Morschach gelegen, litt an einem grossen Kropf im Halsbereich. Wir Buben fragten ihn oft, was das denn sei. Darauf antwortete er immer, dass das ein grosses, vererbtes «Walliser-Bibeli» (Walliser-Pickel) sei. Scheinbar war dieser Ausdruck damals gängig für einen Kropf und deutete darauf hin, dass die Bergbewohner allgemein, auch diejenigen im Wallis und in den südlichen Tälern, wegen Jodmangels oft an Kröpfen litten. In abgelegenen Berggebieten müssten deshalb auch die Walser unter dieser Mangelerscheinung gelitten haben. Mein Grossvater und mein Ururgrossvater hatten überhaupt den Habitus von richtigen Berglern und könnten gut als Walser gelten (siehe Abb. 7 und 8).
Theodul-Patrozinien als klares Indiz für das Vorhandensein von Walser-Familien
Erwiesen ist die Gewohnheit, dass in sehr vielen Walser Siedlungen die Kirchen oder ihre Altäre den Walliser Heiligen Theodul, Mauritius oder Nikolaus geweiht wurden. Man nimmt an, dass die Walser den Kult für die Verehrung dieser Heiligen aus ihrer Heimat mitgebracht haben. Laut Paul Zinsli ist das Theodul-Patrozinium ein sprechendes Indiz für die Existenz einer Walser Gemeinschaft; das lässt sich beinahe in allen Kolonien bis ins Kleine Walsertal verfolgen.[16] In neueren Forschungen wird vermutet, dass deutschsprachige Ursner (Walser) ins Urner Unterland hinabstiegen und in verschiedenen Ortschaften Walser Geschlechter begründet haben. Indizien dafür sind die Theodul-Patrozinien z.B. der Pfarrkirche in Unterschächen (1687) im Schächental und etwas später in Isenthal (erst 1821). In einer Schrift von Gustav Muheim, Unterschächen anlässlich der 300-Jahrfeier von 1987 wird ausgeführt:
«… Man liest in geschichtlichen Notizen über Unterschächen, dass sich unter unseren Vorfahren, nebst solchen mit allemannischer Herkunft, auch ein starker Walsereinschlag nachweisen lässt. Dies ist vielleicht eine Erklärung dafür, dass Unterschächen den heiligen Walliser Bischof Theodul zum einstigen Kapell-, später Kirchenpatron wählte. Wahrscheinlich anlässlich der Pfarreigründung 1687 wurde er auch ins Siegel der Pfarrei aufgenommen…».[17]
Es kann ebenso mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass Walser- oder Walliserfamilien, die erwiesenermassen ins Berner Oberland ausgewandert waren, von dieser Seite her Ob- und Nidwalden erreicht und einzelne Familien dort auch Bergtäler besiedelt haben könnten.[18] Die Wallfahrtskirche in Sachseln weist ebenfalls ein Theodul Patrozinium auf. In der Pfarrgemeinde Alpnach ist die Kapelle Schoried dem Heiligen Theodul geweiht. Schon eine ältere Kapelle am gleichen Standort wies dieses Patrozinium seit 1612 auf. In Wolfenschiessen (NW) ist Theodul Kirchenpatron und in der Klosterkirche zu Engelberg (OW) stellen Nikolaus und Theodor das 3. und 4. Patrozinium. Ein weiteres Theodul Patrozinium findet man in der Pfarrkirche Lauerz (SZ).
Verschiedene Patrozinien in Morschach
In Morschach scheint das Patrozinium als Walser Indiz nicht zu taugen. Die Kirche von Morschach ist nämlich dem Hl. Gallus geweiht. Forscht man aber etwas weiter nach, fallen einige Urkunden im Kirchenarchiv auf. Die erste stammt von 1283 und sagt aus, dass die Kirchenpatrone der Kapelle in Morschach die Heiligen Petrus und Johannes waren. Die zweite stammt von 1318 und besagt, dass der Hauptaltar der Kirche dem Hl. Gallus und dem Hl. Mauritius geweiht wurde. Um 1509 wurde die jetzige Pfarrkirche nach einem Erdbeben repariert und erweitert. Eine Urkunde stammt vom 1. Februar 1509 und hält fest, dass Pater Balthasar, Titularbischof, in Vertretung des Bischofs Hugo von Konstanz, die Kirche in Morschach rekonziliiert und einen neu errichteten Altar auf der rechten Seite zu Ehren der Heiligen Theodul, Jakob des Älteren und der Drei Könige geweiht habe. Diese Patrozinien könnten zufällig sein, könnten aber auch darauf hindeuten, dass einige wenige anwesende Walser Familien durch Mauritius und Theodul an ihre Ur-Heimat erinnern wollten, wie sie das in anderen Walsersiedlungen auch getan haben.[19]
Interessant dabei ist, dass Mauritius schon 1318, Theodul jedoch erst in einer sekundären Phase der Verwalserung von Orten in der Urschweiz um 1509 als Weihepatrone auftraten. Dabei war eine zweite Urkunde, die wohl gleichzeitig, jedenfalls nicht früher entstanden sein muss, da der neue Altar bereits enthalten ist. Diese Urkunde bezeichnet alle Heiligtümer an den vier Altären. Und hier fällt auf, dass beim Hauptaltar nach dem Hl. Gallus (Galli confessoris) wiederum der Walliser Heilige Mauritius (Mauritii Martiris) als zweiter genannt wird. Beim Seitenaltar wird erneut der Hl. Theodul (Theoduli) als zweiter der Patrone angegeben.[20] In der Kirche stellten die Morschacher sogar eine Theodul-Statue neben den Seitenaltar.[21] Die grosse Glocke der Pfarrkirche Morschach ist noch zusätzlich dem St. Joder (im Volksmund Joder = Theodor = Theodul) geweiht. Dass gerade diese Patrozinien gewählt wurden, könnte aussagen, dass wenige Familien, oder nur eine einflussreiche, es geschafft haben, wenigstens in Neben-Patrozinien ihre Walliser Heiligen auf’s Podest zu heben. Die Chämlezen Kapelle in der Gemeinde Morschach ob Sisikon, ist dem Hl. Nikolaus, ebenfalls einem im Wallis überaus stark verehrten Heiligen geweiht.
Meines Erachtens kann es kein Zufall sein, dass in diesen meist alpin gelegenen Pfarreien die Walser Indizien in unserer Region so gehäuft auftreten. Alle diese Indizien zeigen auf, dass in Morschach und anderen Orten der Umgebung Familien mit Walser Ursprung beheimatet sein können. Erwiesen ist, dass verbauerte Vertreter der Familie von Moos, nun nur noch urnerisch «Zmoß» genannt, vor 1500 auf ihrem Weg von Ursern Richtung Vierwaldstättersee die Gegend des Nidwässerviertels im alten Land Schwyz zum Wohnsitz ausgewählt haben und vermutlich einen Walserhintergrund aufweisen.
Waren die Moos aus ihren Bergtälern nordwärts gezogen und den Spuren der Teiler, Tuchhändler und Kaufleute gefolgt? Folgten sie den Spuren der frühen Walser Auswanderer? Oder hatten sie sich als Fuhrleute vom neuen Verkehr über die Furka, das Urserenthal und durch die Schöllenen Richtung Luzern in die Zentralschweiz treiben lassen? Alles Fragen, die bei anderen Familien nachweislich mit «Ja» beantwortet werden können. Bei den Vorfahren der Schuler und Castell war es jedenfalls so. «Hanns Schuller» stammte laut Mannrechtsurkunde von 1500 aus Ernen im Goms und die Castell waren südlich ausgezogene Walser aus Gressoney, die als Tuchhändler nach Schwyz auswanderten und hier später das Landrecht erhielten.[22] Auch die Familien Hospenthal und Wolleb, vermutlich auch Walser, wanderten aus dem Urserntal fort. Erstere nach Arth, wo sie heute noch vorkommen, letztere nach Altdorf, wo sie ausstarben.
Fazit
Die vorhandenen Indizien zeigen an, dass in Morschach und anderen voralpinen Orten in der Innerschweiz während der sekundären Verwalserung einzelne Familien aus dem Wallis oder mit Walserursprung Wohnsitz genommen haben. Ob das in Morschach nun die ebenfalls vorkommenden Familien Laimer, Zebächy oder Zismund (diese Geschlechter sind ausgestorben) oder noch andere Morschacher Familien waren, kann nicht mehr mit Bestimmtheit festgestellt und schriftlich belegt werden. Da Sagen und Legenden immer einen wahren Kern enthalten und viele Belege und Indizien auf die Walser/Walliser hindeuten, wage ich die Vermutung aufzustellen, dass die Vorfahren von vereinzelten Morschacher Familien, ursprünglich eine Verbindung zu den Walsern oder direkt ins Wallis hatten.
Meine Familienforschungen zur ursprünglichen Herkunft der Familie Immoos (Zmoß, Moos, im Moos)[23] haben ergeben, dass die Moos von Morschach mit grösster Wahrscheinlichkeit Nachkommen von verbauerten Nachfahren der Ministerialen von Moos des Klosters Distentis aus der Linie von Wassen waren.[24] Somit besassen sie sicher einen Walserhintergrund.
Ich denke, es wäre an der Zeit, dass die sekundäre Verwalserung in der Innerschweiz wissenschaftlich genauer erforscht wird, damit auf der Karte der Walserzüge auch die sekundäre Verwalserung in Richtung Vierwaldstätterdersee dereinst dokumentiert werden könnte. Wäre das nicht eine ergiebige Masterarbeit für junge Walliser Studentinnen oder Studenten?
Bemerkung:
Der Artikel wurde von mir in ähnlicher Form in der Zeitschrift „Wir Walser“ Nr. 2 / 2016 veröffentlicht.
Fussnoten:
[1] Alois von Euw (*1921 in Schwyz; †2010 in Schwyz, populärer röm. kath. Pfarrer, Schriftsteller, Volkskundler und Brauchtumspfleger, seit 1977 in unserer Heimatgemeinde Morschach tätig, zuletzt bis zu seinem Tode im Altersheim Acherhof, Schwyz.
[2] Thomas Immoos; Dr. theol.; Dr. phil. (*15. September 1918 in Schwyz; † 20. Oktober 2001 in Immensee) war ein Schweizer römisch-katholischer Geistlicher, Missionar, Literat, Schriftsteller und Japanologe sowie Hochschullehrer, der 50 Jahre in Japan wirkte.
[3] Beiname = noch nicht absolut gefestigter Familienname; er kann noch wechseln.
[4] Historisch-Biographisches Lexikon der Schweiz,1929, M., S. 169; Blätter aus der Walliser Geschichte, Bd. IV, Hrg. Geschichtsforschender Verein Oberwallis, 1897; Imesch, Dionys: Die Geschichte von Naters, Stämpfli 1907;
[5] Schnellmann, Meinrad; Die Familien von Moos von Uri und Luzern, 1955; Standort oder ISBN: Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern; Als Manuskript gedruckt in einer Auflage von 100 Ex., mit Textabbildungen, Tafeln Stammtafeln, 274 S., Räber Luzern, 1955.
[6] Kreis, Hans: Die Walser, Francke Verlag Bern, 1966, S. 205 ff.
[7] Zinsli, Paul: Walser Volkstum – In der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Italien, Verlag Huber Frauenfeld, 1970; Abbildung Teufelssage aus Alpenquerende Urner Verkehrswege, Basler und Hofmann.
[8] Dürr, Karl: Völkerrätsel der Schweizer Alpen – Walser, Wikinger, Sarazenen, Arethusa-Verlag Bern 1953, S. 29.
[9] G. Boesch, Die grosse Urner Blutrache 1257/58, Geschichtsfreund 124 (1971), S. 216 f.
[10] Albert Iten (*1891 †1976); Der aus Unterägeri gebürtige Priester wirkte zuerst als Vikar in Laufen (damals BE, heute BL), dann als Pfarrer in Röschenz (damals BE, heute BL) und von 1927 bis 1958 in Risch. Als Resignat kam er auf die Keiserpfründe nach Zug, wo er sich ganz seinem Hobby widmen konnte. Als Namensforscher beschäftigte er sich besonders mit Orts- und Flurnamen des Zugerlandes, sammelte die Biographien der Zuger Welt- und Ordenspriester in dem zweibändigen «Tugium sacrum», arbeitete mit am Zuger Wappenbuch und Urkundenbuch, beschrieb Siegel und verfasste kleine Gemeindechroniken und die grossen Stammbücher der Iten und Merz.
[11] Zinsli, Paul: Walser Volkstum – In der Schweiz, in Vorarlberg, Liechtenstein und Italien, Verlag Huber Frauenfeld, 1970; Abbildung Teufelssage aus Alpenquerende Urner Verkehrswege, Basler und Hofmann.
[12] Steinegger, Hans: Schwyzer Sagen, Riedter Verlag, Schwyz 1981; alle 4 Bände
[13] Steinegger, Hans: Schwyzer Sagen, Bd.1, Riedter-Verlag 1979, nach Fassbind.
[14] Das Haus „Tannen“ in Morschach. Baugeschichtliche Untersuchungen des Kunsthistorischen Instituts der Universität Zürich; Descoeudres, Georges. (1999) – In: Mitteilungen des Historischen Vereins des Kantons Schwyz Bd. 91 (1999) S. 29-48.
[15] Dürr, Karl: Völkerrätsel der Schweizer Alpen – Walser, Wikinger, Sarazenen, Arethusa-Verlag Bern 1953, S. 31, 33 ff.
[16] Furrer, Sigismund, P.: Geschichte von Wallis, Verlag und Druck Calpini-Albertazzi, Sitten, 1850, S. 112 ff.; und Zinsli, Paul: Walser Volkstum, Verlag Bündner Monatsblatt, 2002, 7. Auflage, S. 26.
[17] Text heruntergeladen am 27.02.2016 von: http://www.unterschaechen.ch/fileadmin/dateien/dokumente/gemeinde/wappen_von_unterschaechen.pdf
[18] Dürr, Karl: Völkerrätsel der Schweizer Alpen – Walser, Wikinger, Sarazenen, Arethusa-Verlag Bern 1953, S. 28 ff.
[19] Regest: Wagner, Adalbert: Regesten, Pfarrarchiv Morschach; Abschrift Bründler, p. 16-18; Transkription, S. 5-6, Blatt 26a.
[20] Blatt 26b, Bründler, p. 20-24; Transkription, S. 7f., Pfarrarchiv Morschach.
[21] Abb.: Die linke Statue beim rechten Seitenaltar in der Morschacher Pfarrkirche zeigt Theodul (nach der Legende mit Glocke und Teufelchen).
[22] Auf der Maur, Jürg: Von der Tuchhandlung Castell zur Weinhandlung Schuler, Chronos Verlag, Zürich 1996.
[23] Eine Familie Zmoos existiert heute noch und ist auschliesslich in Boltigen BE heimatberechtigt. Verbindungen nach Morschach können keine belegt werden. Ob sie aus dem Wallis stammen, entzieht sich meiner Kenntnis, wäre aber infolge Grenznähe und Passübergängen ins Wallis ohne Weiteres denkbar.
[24] Nach Hubler
Bildquellen:
Titelbild: Morschach; Foto Ernst Immoos, Morschach
Beitragsbild: Morschach; Foto Ernst Immoos, Morschach
Beitragsbild: Walserbänkli; Foto Ruedi W. Immoos, Küssnacht am Rigi
Beitragsbild: Karte Walserwanderungen; bearbeitet RI, heruntergeladen von: http://www.wir-walser.ch/
Beitragsbild: Twärenbrücke Schöllenen; gemeinfrei, heruntergeladen von: Wikipedia: Schöllenen
Beitragsbild: Tannenhaus, Morschach; Foto Ernst Immoos, Morschach
Beitragsbilder: Portraits; Alois Immoos *1882, Leidbild und Augustin Meinrad Immoos *1803, Ölbild. Familienarchiv Immoos
Beitragsbild: Wappen Unterschächen; heruntergeladen von Wikipedia: Unterschächen
Beitragsbild: Theodulstatue, Kirche Morschach; Foto Ruedi IW. mmoos, Küssnacht am Rigi
Beitragsbild: Glockenweihe; Pfarrkirche Morschach nach Gesamtrenovation 1928 (Joderglocke ganz links) Foto: Archiv Kulturgruppe Morschach
Beitragsbilder: Wappen; Wappen der von Moos von Ursern (Vorlage nach Schnellmann, farbige Ausführung RWI) und der Immoos von Morschach (Wappenscheibe in der Kapelle St. Franziskus Morschach, Foto RWI mit dem Ursner Bär und vermutlich dem Stern der Bischöfe von Sitten.
Textquellen, Literatur:
CARLEN, LOUIS: Uri und die Walser. Artikel in: Historisches Neujahrsblatt / Historischer Verein Uri, Band 68-69 (1977-1978).
DÜRR, KARL: Völkerrätsel der Schweizer Alpen. Walser, Wikinger, Sarazenen.
Arethusa-Verlag Bern 1953.
FIBICHER, ARTHUR: Walliser Geschichte. Bd. 1+2.
HOPPELER, R.: Untersuchungen zur Walserfrage. Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 33 (1908).
HUBLER, PETER: Adel und führende Familien Uris im 13./14. Jahrhundert; genealogische, gütergeschichtliche und politische Aspekte. Bern, Frankfurt a. M., 1973, Europäische Hochschulschriften, Reihe 3: Geschichte und ihre Hilfswissenschaften Bd. 26
ITEN, ALBERT: Zuger Namenstudien. Gesammelte Beiträge der Jahre 1925-1966 über Orts- Flur- und Familiennamen des Kantons Zug und der Innerschweiz, Verlag Offizin Zürcher AG, Zug 1969.
IMMOOS, ERNST: Unterwegs vom Mythen bis Mali mit Königin und Wildiheuer. Triner Verlag Schwyz 1995, S.4-7.
IMMOOS, RUEDI, W.: Chronik der Familie Immoos. Eigenverlag, Mangelegg 25 Schwyz, 2003 (Als Manuskript gedruckt in einer Auflage von 120 Exemplaren).
KREIS, HANS: Die Walser. Franke Verlag, Bern 1966.
KREISEL, WERNER: Die Walserbesiedlung. Vorrücken und Rückweichen einer alpinen „frontier“. In: Siedlungsforschung, Bd. 8 (1990).
MOOSER, ANTON: Einwanderung von Wallisern und Walsern nach Uri. Bündner Monatsblatt 1943.
MÜLLER, ISO: Geschichte von Ursern. Von den Anfängen bis zur Helvetik. Desertina Verlag, Kommissionsverlag Josef von Matt, Stans, 1984
MÜLLER, ISO: Die Wanderung der Walser über Furka und Oberalp und ihr Einfluss auf den Gotthard usw., Zeitschrift für Schweizer Geschichte 1936, Nr. 16. S. 353 ff.
MÜLLER,ISO: Ursern im Früh- und Hochmittelalter. Universitätsprofessor Dr. Gottfried Boesch zum 65. Geburtstag zugeeignet, Separatabdruck aus «Der Geschichtsfreund» 133. Band 1980.
SCHNELLMANN, MEINRAD: Die Familien von Moos von Uri und Luzern. 1955, Standort: Zentral- und Hochschulbibliothek Luzern. Als Manuskript gedruckt in einer Auflage von 100 Ex., mit Textabbildungen, Tafeln Stammtafeln, 274 S., Räber Luzern, 1955.
ZINSLI, PAUL: Walser Volkstum in der Schweiz, in Vorarlberg, Lichtenstein und Italien. Erbe, Dasein, Wesen. Verlag Bündner Monatsblatt, Chur 2002.
Links:
Walser Wikipedia
Geschichte der Walser
Die Wanderungen der Walser